Ein Quotensachse in Thüringen: Matthias Biskupek zum 60.

Der Satiriker Matthias Biskupek ist seit einiger Zeit überzeugter Zugfahrer. Wer einmal in seinem Auto auf dem Beifahrersitz mitreisen durfte, wird diesen Umstand mit Erleichterung begrüßen. Zu seinem 60. Geburtstag würdigt ihn Steffen Mensching, Schriftstellerkollege und Intendant des Theaters Rudolstadt.
Rudolstadt. Der Satiriker, launige Kritiker und Verfasser hinterhältiger Prosa-Miniaturen ist insgeheim eine grüblerische Natur. Und weil abgelenkte Lenker gefährlich leben, hat er das Auto vor einigen Jahren verkauft. Vielleicht verdanken wir diesem Entschluss die freudige Tatsache, dass wir heute seinen 60. Geburtstag feiern und ihn als real existierenden Zeitgenossen begrüßen können?
Thüringen und die gebündelte Republik wären andernfalls um einen Originalschriftsteller ärmer. Als ich ihn vor Jahrzehnten kennenlernte, hatte er seine ersten Karrieren schon hinter sich. Er kam aus der Praxis, war gelernter Maschinenbauer, hatte ein Fach studiert, das sich geheimnisumwittert Technische Kybernetik nannte, und fand eine Anstellung als Systemanalytiker im Chemiefaserkombinat Schwarza bei Rudolstadt. Man höre und staune: Systemanalytiker in der DDR das war damals ein bezahlter Posten.
Diesseitigkeit und Erdverbundenheit - die bei Chemiefasern eher eine Erdölverbundenheit gewesen sein dürfte - prägten Biskupeks Schreiben bis heute. Der umtriebige Sachse ließ sich am Fuße der Heidecksburg nieder. Dort gab es hübsche Frauen, Pörzebier und ein Theater. Um diesen Segnungen nahe zu sein, mutierte der Ingenieur zum Dramaturgen. Zwar hat Biskupek, nach eigenen Aussagen, nie ein Theaterstück verfasst - und er sollte diese Bemerkung nicht als Aufforderung interpretieren, sein Lebenswerk mit diesem Genre anzureichern -, doch bedeuten ihm die Bretter, welche die Welt bedeuten, seit eh eine Menge. "Künstlerisch wertvoller Gruppengesang ist zurzeit bis in höchste Kreise erwünscht", heißt es in einem seiner frühen Texte. Auf dem Theater findet in den besten Fällen, eigentlich im Normalfall, das statt, was auch Biskupek beabsichtigt: Kommunikation. Akademische oder hermetische Dichtung war seine Sache nie. Er schreibt von Dingen und Leuten, die er kennt, seien es Thüringer Pflanzen oder Theaterschaffende. Dass solches Treiben vom Feuilleton und der Kunstkritik zu selten Beachtung erfährt, sagt mehr über diesen Betrieb aus als über Biskupeks Texte. In Deutschland ist noch immer der Grundsatz weit verbreitet: Kunst könne nur dann so genannt werden, wenn sich das Publikum schwer damit tut. Dass auch Humorvolles von Gehalt sein kann, beweist dieser Autor. Seine Prosa ist deutlich und leichtfüßig, sein Deutsch präzis. Sprachliche Ungenauigkeit ist ihm suspekt und nährt seinen Spott. Er ist bei Kollegen stets auf der Lauer nach Stilblüten und Ungereimtheiten.
Er mag ein chaotischer Autofahrer gewesen sein, er war stets ein akribischer Leser. Wann immer ich etwas veröffentlichte, Biskupek schickte stets einen Lektürebericht, in dem er mit freundlicher Penetranz darauf hinwies, dass ich mich dort in einem Fremdwort vergriff und da in den Zeitformen verwirrte. Die Tätigkeit als Journalist war ihm wichtig - so möchte ich meinen -, nicht allein als Broterwerb. Über viele Jahre schrieb er für den "Eulenspiegel" und konnte sich eine treue Gemeinde Bewunderer erarbeiten. Von seinen Veröffentlichungen seien nur einige genannt. Sein erster Erfolg hieß "Leben mit Jacke", ein Titel aus dem Jahr 1985, in dem schon der ganze Autor steckt. Auf "Veröffentlichtes Ärgernis" folgten "Wir Beuteldeutschen", die ein Jahr später "Das Fremdgehverkehrsamt" bevölkerten, um 1995 eine "Biertafel mit Colaklops" vorzufinden.

Gewisse anthropologische Neigungen kann Biskupek nicht leugnen. Im Gegensatz zu den großen Forschungsreisenden hat er sich früh auf die Besonderheiten seines eigenen Landes konzentriert. Kein Wunder, dass er nach dem Untergang der DDR bemüht war, ihre Ruinen schriftlich festzuhalten. "Das kleine DDR-Lexikon" gehört zu seinen auch kommerziell erfolgreichsten Büchern. Und wenn man eines Tages wissen will, wie der Betrieb in einem DDR-Theater ablief, wie die Souffleuse redete und mit wem sie wie ins Bett fiel, wie man einkaufte oder in der Kneipe redete, Biskupeks Geschichten werden einem einen Eindruck geben. Von seinem Roman "Der Quotensachse" erwartete der Autor klammheimlich, dass er in Brandenburg und Berlin auf den Index gesetzt würde. Die Hoffnung erwies sich als trügerisch. Es sagt jedoch viel über den Autor aus, dass ihn der ausbleibende Skandal nicht umwarf. Es bleibt sein Verdienst, mit dem Quotensachsen früh mit dem Vorurteil aufgeräumt zu haben, der Ossi wäre eine nationale Minderheit. Heute wissen wir - gerichtlich bestätigt -, er ist nicht einmal eine Ethnie.
Neben seiner emsigen Arbeit als Prosaiker widmet sich der Autor nach wie vor der Kritik. Er wird deswegen in jedem Thüringer Theater freudig begrüßt und mit Schmeicheleien verabschiedet. Mancher Intendant klopft noch immer lieber dreimal auf die Schulter eines Kritikers als auf dürres Holz. Dabei ist bislang völlig unklar, ob das eine oder das andere etwas bringt. Biskupek ist als Rezensent schwer zu beeinflussen, da er, wenn ihm eine Vorstellung nicht gefällt, die Premierenfeier meidet. Seine Meinung ist selbst dadurch nicht zu beeinflussen, dass er als Vorsitzender des Fördervereins des Rudolstädter Theaters quasi statutgemäß zu Loyalität verpflichtet ist. Er verwechselt Solidarität nicht mit Vasallentreue.
Übrigens ist es nicht so, dass ich mit dem heute zu Ehrenden immer einer Meinung wäre. Beispielsweise haben wir unterschiedliche Ansichten über die Herkunft des Namens Biskupek. Seine slawischen Wurzeln sind unbestritten im Raum Zabrze ist er überproportional vertreten, weshalb der heute 60-Jährige annimmt, er leite sich aus dem polnischen Wort Biskup ab, was Bischof bedeutet und dem atheistischen Autor die Gelegenheit bietet, seinen Stammbaum unter der Hand bis Rom zu verlängern. Ich biete dem Kollegen seit Jahren eine Interpretation an, die irdischer ist und ihm seine eigene Lage viel klarer vor Augen führen würde. Trotzdem lehnt er sie störrisch ab. In Bulgakows Roman "Der Meister und Margarita" gibt es den Dichter Besdomny, den Herren Ohne-Haus. Ähnlich verhält es sich mit dem Namen Biskupek. Er ist meines Erachtens jüngeren Datums und entstand während der Okkupation Polens durch das zaristische Russland. Beskopejek - Ohne Kopeke - nannte man den armen Künstler, der immer klamm und auf Almosen angewiesen war. Ich verstehe nicht, dass mein Freund dieser Lesart nichts abgewinnen kann. Er selbst ist doch bislang von der Flut deutscher Literaturpreise verschont geblieben. Aber das kann sich ja noch ändern. Es wäre ihm zu wünschen.
Trotzdem hat er sich einen großen Leserkreis erschrieben. Und zusammen mit diesem rufe ich heute ebenso enthusiastisch wie feierlich: Sto lat, Happy Birthday und Vorwärts zu neuen Erfolgen!

Steffen Mensching / 22.10.10 / TA