Lieber Herr Dr. Dr. Peter Lange
haben Sie vielen Dank für Ihre Rezension meiner "Streifzüge durch den Thüringer Kräutergarten" in den jüngsten "Rudolstädter Heimatheften". Dazu hätte ich gleich eine große Bitte: Darf ich bei meinen Lesungen aus Ihrer Rezension zitieren? Dies würde vielen Lesern Fragen ersparen. Auch stellte ich Ihre Rezension gern in meine Internet-Seite.
Nun haben Sie, lieber Herr Dr. Dr. Peter Lange, bisher wohl noch nie ein belletristisches Buch besprochen. Denn "31 Kurzgeschichten" enthält der Band gewiss nicht, hingegen dem Gegenstand "Kleinteiliges und vielfältiges Thüringen" angemessen allerlei Textsorten: Feuilleton und Reportage, Prosaminiatur und Humoreske, Bericht, Glosse, Brief, Pamphlet und auch drei, vier Kurzgeschichten.
Ihre Vermutung, wegen längst vergriffener Sachbücher zur Region Schwarzatal sei dies Buch entstanden, ist schlicht falsch: Sowohl dem Vorwort wie der Danksagung im Buch hätten Sie entnehmen können, dass es erstmals um eine belletristische Darstellung einer ganzen kulturhistorischen Region - nicht allein des Olitätenwesens - geht. Also ist es absurd, Meura zu vermissen und Kölleda als überflüssig zu empfinden, ebenso abwegig, zu behaupten, "Die falsche Katze" oder "Das Hanghuhn im Faulbaum" wären fehl am Platze. Nebenbei: Meura kommt bereits auf Seite 10 vor; ein ganzer Abschnitt auf Seite 21 widmet sich der einstigen Pharmafabrik und auf Seite 141 finden Sie sogar das berühmte "Meurasan" abgebildet. Doch wenn Sie ein Quellenverzeichnis erwarten: Wo ist bei Seumes "Spaziergang nach Syrakus" das Quellenverzeichnis? Wo ein solches bei Fontanes "Wanderungen"? Hätten Sie die Seiten 27 und 28 gelesen, wüssten Sie hingegen, dass der Schriftsteller Biskupek, ausdrücklich kein Heimatkundler, sich vor allen heimatkundlichen Vor-Schreibern verneigt und deren Arbeiten zu würdigen weiß.
Lieber Herr Dr. Dr. Peter Lange, Literatur ist Geschmackssache. Bevor man aber Urteile abgibt wie "dumme Sprüche", sollte man sich sachkundig machen. Genau die von Ihnen annotierten "dummen Sprüche" sind Zitate bzw. Assoziierungen von Heinrich-Heine und Kurt-Tucholsky-Texten. Die Stilfigur, die Sie "Hauptsätze ohne Prädikat" nennen, gibt es seit ca. hundertzwanzig Jahren in der deutschen Literatur. Sie dient einer Spannungsverstärkung. Auch sind die von Ihnen kritisierten "merkwürdigen Ausdrücke" nahezu samt und sonders jeanpaulsche Ausdrücke, die Thüringen und Franken heraufklingen lassen. Gewiss muss ein Leser dies nicht wissen, er spürt, wenn er sensibel ist, die Exklusivität dieser Wörter. Wer sich aber öffentlich daran reibt, sollte zumindest deren Herkunft kennen - und meinethalben als unangemessen geißeln.
Was mich wirklich betrübt, lieber Herr Dr. Dr. Peter Lange: Sie wissen einen Text nicht in seinem Umfeld zu verstehen. Wenn ich vom "tiefsten Frieden", "vom unaufhaltsamen Fortschritt" der fünfziger Jahre schreibe, so weiß jeder leidlich gebildete Leser dies als Sarkasmus, als Ironie zu deuten. Und was machen Sie? Sie plustern sich, mit Verlaub, über die Geschichtsunkenntnis des Autors auf. Einst schrieb Tucholsky, dass für manche Leser Ironiezeichen nötig wären. Ganz ähnlich verhält es sich mit jenem Kaiserreich, von dem Sie behaupten, es habe "aus föderalen Staaten (bestanden)". Nein, die Staaten des Kaiserreichs waren eher zentralistisch, ob Großherzogtum Baden, Königreich Sachsen oder Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt. Ach, Sie meinten mit Ihrer Einlassung, das Kaiserreich selber sei föderal verfasst gewesen? Warum schreiben Sie das dann nicht? Unberührt davon bleibt, dass mein Text zur relativ einheitlich praktizierten Gesetzgebung nach 1871 polemisch mit heute übertriebenem Föderalismus umgeht.
Nun hätte ich mich sehr gefreut, lieber Herr Dr. Dr. Peter Lange, wenn Sie sachliche Fehler gefunden hätten. Denn ein jeder Text kann durch Sachkorrekturen nur besser werden. Doch fast nichts, was Sie in dieser Hinsicht anmerken, wäre eine Verbesserung. So ist die Großschreibung lateinischer Namen in dem einen Text "Vom Liebeswurz - eine zweiseitige Liebesgeschichte" - zweiseitig, lieber Herr Dr. Dr. Peter Lange, zweiseitig ist ein doppelsinniges Wort, deshalb die nach Ihrer Meinung unvermittelt eingeschobene Sage vom Bärbele - auf Otto Ludwig zurückzuführen, der sie just so schreibt. Das hätten Sie auf Seite 31 finden können, als über die erste Fassung des Ludwigschen Kräuterbuches berichtet wird, das Sie offensichtlich nur in der Auflage von 1989 kennen. Im übrigen haben nicht umsonst genau deshalb sowohl ein Apotheker wie auch ein Biologe - siehe Danksagung - meinen Text durchgesehen. Vielleicht waren sie nicht genau genug? Genau war aber Otto Ludwig, der in einem Brief an den Verlag von seinem Glück schreibt, noch im Jahre 1989 den Rennsteig in bislang gesperrten Teilen abwandern zu dürfen - mit einer Sondergenehmigung. Was ich unerwähnt ließ. In einer nächsten Auflage könnte dies berücksichtigt werden, samt Druckfehlern, die Sie leider nur summarisch anführen.
Ich erspare mir, auf weitere Kleinigkeiten einzugehen - von Königsee nach Rudolstadt sind es exakt 14,2 Meilen - wenn Sie natürlich die preußische Meile annehmen, sind es tatsächlich nur dreieinhalb - doch wollen wir in Thüringen mit preußischen Meilen messen? Also sind ein Dutzend Meilen nicht sooo falsch, wie Sie glauben machen wollen. Auch mag mein Umgang mit dem Begriff "Muschelkalkgebiet" lässlich sein, wo man trennscharf von Zechsteingürtel und Buntsandstein sprechen kann - ich erbiete mich aber, Ihnen beim Wandern um Königsee allerlei Muschelkalk zu zeigen - ebenso wie Glaskuppeln im Saalemaxx und das Schild "SFK-Technik" unweit des Ankerwerks. Hingegen ist "oben auf dem Thüringer Wald" dem im Text zitierten Buch von Johann Paul Friedel (1740) entnommen, der einem Auswärtigen die Gegend der Olitätenhändler zu erklären versucht - und natürlich nicht unsere heutigen Zuordnungen kennt. Auch da gilt der Zusammenhang.
Da Sie, lieber Herr Dr. Dr. Peter Lange, eine wissenschaftliche Ausbildung haben, bin ich noch trauriger über Ihren Umgang mit Zitaten. Ich weiß nicht, wo Sie "Nichde gabs" in meinem Text als Beleg für völlig falschen Umgang mit der landschaftlich gebundenen Umgangssprache gefunden haben wollen. Soll dies eine sächsische Nichte sein? Die Seite 102 verzeichnet "Nischde gab’s!" als einen von Bekannten des Hugo Kümmerling gebrauchten Ausdruck, wo auch immer die ihre sprachlichen Wurzeln haben. Nun wäre die schriftdeutsche Nachbildung umgangssprachlicher Relikte, die längst nicht mehr Mundart oder Dialekt sind, in der Tat ein Thema, worüber sich trefflich streiten ließe - lediglich da, wo Mundart auch schriftlich überliefert ist, kann man sie exakt zitieren, wie bei Anton Sommer. Vielleicht setzen wir uns mal in eine Kneipe und lauschen, wie sich sächsische und bayerische Ausdrücke immer mehr ins Thüringische mengen?
Fast aber, lieber Dr. Dr. Peter Lange, muss ich vermuten, Ihr Unmut über mein Buch rühre daher, dass es eben KEIN Sach- und Fachbuch, KEINE lederne Artikelsammlung, KEIN ungelenker Beitrag aus Tourismusberatungsfirmen ist, sondern Thüringen als Heimat auch humorvoller Leute in schöngeistiger Art vorführt. Schöngeistig ist, lieber Herr Dr. Dr. Peter Lange, die deutsche Übersetzung für belletristisch.
Der Verlagsort für dieses Buch übrigens ist nicht Oberweißbach, wo auch immer Sie das gefunden haben wollen. Das Impressum weist deutlich auf Leipzig als Sitz des Verlages hin - wenn man denn weiß, wie man dies im Informationsdickicht findet.
Lieber Herr Dr. Dr. Peter Lange, ich würde mich freuen, wenn Sie meinen Brief im Redaktionskollegium der "Rudolstädter Heimathefte" diskutieren, denn für mich als Wahl-Rudolstädter und Nicht-Heimatkundler wäre es schön, wenn die "Heimathefte" für Wissenschaftler, für Lehrer und alle heimatverbundenen Leute noch mehr an Reputierlichkeit gewännen.
Herzlich. Ihr Matthias Biskupek