Schelme hinter dem Eisernen Vorhang
Matthias Biskupek hat mit "Eine moralische Anstalt" das Rudolstädter Theater in den Mittelpunkt gerückt

Ein kleines Theater irgendwo tief in der DDR, das bald unschwer als das in Rudolstadt zu erkennen ist, bildet den Brennpunkt des ironischen Romand "Eine moralische Anstalt" des Thüringer Schriftstellers Matthias Biskupek. Ein junger Mathematiker sehnt sich nach einem beruflichen Wechsel und findet sich plötzlich als Regieassistent in Rudolstadt wieder. Er hat den sinnigen Namen Martin, Martin und da es schon einen anderen Martin am Theater gibt, wird er Matti genannt. Dieser finnisch klingende Spitzname bringt ihm einen Eintrag in die Stasiakte, da sein Chef seinen Vollrausch ausgerechnet in einem Zugwaggon ausschlafen muss, der am nächsten Morgen als Skandinavien-Express nach Finnland abfahren soll.
Dies ist nur eine der zahlreichen Verwicklungen, die in dem Roman passieren. Dem in jedem Theater vorkommenden Chaos wird noch die allgegenwärtige Beobachtung durch den inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi beigemengt. Intellektuell überfordert, zieht er höchst eigenwillige Schlüsse. Aus einer Bemerkung über den theaterspezifischen Eisernen Vorhang leitet er eine Anspielung auf die Grenze zwischen Ost und West ab. Dass sich der betrunkene Oberspielleiter am nächsten Tag an nichts mehr erinnern kann, nennt er eine "bürgerliche List."
Der staatlichen Repression durch die allgegenwärtige Überwachung stellt Biskupek aber lebensfrohe Charaktere gegenüber, die sich nicht unterkriegen lassen, das Beste aus der Situation machen und vor allem Spaß am Leben zeigen. Das Leitmotiv des ansatzweise als Schelmenroman zu bezeichnenden Buches könnte lauten: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst. In 29 Kapiteln auf 170 Seiten wird jeweils einer der Protagonisten schwerpunktmäßig vorgestellt und in den Kontext zu seinen Kollegen gestellt: Regisseur, Intendant, Schauspieler, Maskenbildnerin, Pförtner, IM und so weiter. Durch die Vielzahl der Charaktere wird die Lektüre des Buches nicht gerade erleichtert, an die Grenze des Unverständlichen geht das Buch aber durch zahlreiche Anspielungen auf interne Abläufe des Kulturbetriebs in der DDR, die größtenteils nur von denen verstanden werden können, die sie einstmals hautnah miterlebt haben.
Zwischen den Kapiteln finden sich zahlreiche frei erfundene, aber authentisch klingende Stasi-Berichte, die die Absurdität des Systems deutlich werden lassen. Besonders pikant ist das Ende des Buches: das Zeitrad wird ein paar Jahrzehnte in die Zukunft gedreht. Matti ist inzwischen ein emeritierter Professor in den USA. Und der ehemalige Stasi-Oberleutnant schreibt immer noch Observationsberichte über ihn; als Major eines US-Departments. Oliver Kröning

Matthias Biskupek: "Eine moralische Anstalt", mit Illustrationen von Ioan Cozacu, Eulenspiegel, 9,90 Euro