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Matthias Biskupek
Kunst & Politik zwischen Jerusalems Tempeln
Thüringer Künstler mit Lese-Zeichen in Israel - ein Text für die "Thüringer Allgemeine"

"Ensemble der Schwesternkünste" bedeutet in Langform: Zusammenarbeit von Malern und Schriftstellern, Fotografen und Filmern, Musikanten und Essayisten zu einem Thema. Der Verein "Lese-Zeichen" förderte mehrmals diverse einschlägige Projekte, zuletzt die "Steinstimmen" - Burgen in Wort, Ton und Bild.
Die "Landeszentrale für politische Bildung" hingegen vertritt auch eine länder- und kontinenteübergreifende Bildung. So gibt es in regelmäßigen Abständen Exkursionen Thüringer "Multiplikatoren" - Politiker, Lehrer, Polizisten, Pfarrer - nach Israel, in jenes Land, zu dem wir Deutschen eine heftige, schmerzliche, tiefe Beziehung haben - oder doch haben sollten. Bei der diesjährigen Fahrt in den Nahen Osten nun trafen sich in der Reisegruppe zur Hälfte Künstler - Lese-Zeichner - zur anderen Hälfte politische Bildner: Landtagsabgeordnete der beiden Oppositionsfraktionen, Lehrerinnen, Mitarbeiter von Stiftungen. Das Programm war folglich dicht und gemischt: Gespräche mit Parlamentariern, Palästinensern und Journalisten, Begegnungen in Kunstakademie und Musikschule, Chagall-Gobelins in der Knesseth, christliche Pilgerwege und urkommunistische Zellen, als die sich Kibbuzim einst verstanden. Zionismus und Expressionismus, Bauhaus-Moderne und Weihnachtsschnitzerei auf engstem Raum; Nippes neben stacheldrahtgesäumten Siedlungen. Man könnte, Goethe persiflierend, meinen: Politik und Kunst, sie scheinen sich hier nicht zu fliehen ...
Die Landeszentrale mit ihrem mitreisenden Chef Franz-Josef Schlichting hatte sich ihres Auftrags der politischen Bildung in aller Vielfalt gestellt und Mühe und Organisationskraft nicht gescheut, doch was auch spontane Begegnungen bewirken, zeige eine Geschichte - Lese-Zeichen versteht sich auch als Anstalt zur Beförderung des Erzählens: Eine mitreisende Funk-Journalistin hatte gehört, dass einige der weltweit verteilten Apoldaer Glocken auch in Jerusalem an herausgehobener Stelle läuteten und wollte natürlich den thüringschen Ton im Heiligen Land aufs Gerät bannen. Diese höchste - geografische - Stelle Jerusalems ist die evangelische Himmelfahrtkirche auf dem Ölberg. Wie aber kommt eine solche dorthin?
Kaiser Wilhelm Zwo hatte 1898 eine spektakuläre Palästina-Fahrt unternommen. Ihm zu Ehren wurde sogar eine Pforte der Altstadt aufgebrochen, auf dass er hoch zu Ross in Jerusalem einreiten konnte. Der Spötter Frank Wedekind schrieb eine bissige Satire: "So sei uns denn noch einmal hoch willkommen / Und laß dir unsre tiefste Ehrfurcht weihen / Der du die Schmach vom heilgen Land genommen, / Von dir noch nicht besucht zu sein". Wedekind bekam dafür, dank wachsamer Zensur, einen Prozess. Der Kaiser hingegen bekam von seinem Freund, dem Sultan der Goldenen Pforte - Palästina war damals türkisch - ein großes Stück Land, jenes höchstgelegene Jerusalems, geschenkt. Auf dem ließ er die "Kaiserin-Auguste-Viktoria-Stiftung" - Krankenhaus und Himmelsfahrtkirche, die übrigens an die Wartburg erinnern sollte - erbauen. 1911 schließlich trafen die Apoldaer Glocken - wir haben die erzählerische Umleitung beendet - über Danzig, Hamburg und Jaffa auf dem Landweg mit Pferd und Wagen ein. Und läuten seither täglich um zwölf - zumindest eine.
Mit Charme gelang es der Journalistin den strengen Plan der Gruppe spontan abzuändern - und so wallfahrten alle im klimatisierten Bus hinauf auf den Berg, erklommen die 223 Stufen des Turms, hörten das donnernde Glockengeläut trommelfellnah - und sahen von oben, wie sich Politik drunten vollzieht. Auf der einen Seite steht seit ein paar Jahren auf kircheneigenem Land eine Moschee. Doch soll der Lutherische Weltbund sich mit hiesigen Arabern anlegen? Auf der andern Seite schieben sich Container Stück um Stück vor. Israelische Siedler, die Landnahme ganz praktisch und längst nicht so verhandlungsbereit wie ihre Regierung betreiben, schaffen vollendete Tatsachen. Des Glockentones satt schieden wir sehr nachdenklich von dieser Stelle.
Welche künstlerischen Ergebnisse die Reise haben wird, weiß bisher keiner der Beteiligten. Das hat auch mit Fördermitteln zu tun. Natürlich werden alle schreiben oder malen oder in Töne setzen. Die Filmemacherin Nancy Hünger hat ihr Material auf dem Chip. Lese-Zeichen-Vorsitzender und Grafiker Andreas Berner zeigte erste Fotos - keine Touristenbildchen sondern Kontraste, rund gegen eckig, schwarz gegen weiß, Sonne gegen Wasser. Die Malerin Barbara Matz-Langensiepen hat Bilder im Kopf; wie diese auf Mal-Untergründe gelangen, weiß sie noch nicht. Axel Bertram aus Jena mag es ähnlich gehen. Der junge Musikant und Komponist Albrecht Berner improvisierte, wo ein Klavier auf der Reise ihm dies erlaubte. Daniela Danz und Jörg Dietrich füllten Notizbücher, die Historikerin Jeanette van Laak ihr Gedächtnis, der Lyriker Döring, der auch als Landespolitiker fungiert, nahm Zeilen und Zitate mit. Ich habe für eine Thüringer Künstlerin mit jüdischen Wurzeln einen Stein vom See Genezareth ausgeführt. Der Staat Israel ist großmütig - er hat diese Landnahme geschehen lassen. Schalom und Masseltoff.