Weimar. (tlz) Wie war das 1989 mit dem Theater? lautete die Gretchenfrage des nunmehr fünften Weimarer Montagsgesprächs unter dem Slogan "Abbruch, Umbruch, Aufbruch oder was?", zu dem vier Zeitzeugen in der Eckermann-Buchhandlung erschienen waren, drei geladene und ein beschworener. Zunächst die geladenen: Schauspielerveteran Hans Lucke, dereinst Ensemblemitglied am Deutschen Theater Berlin, Jürg Wisbach, Leistungsträger des DNT-Schauspiels heute, und, zwischen den beiden moderierend, Ex-Dramaturg und Rudolstädter Theaterchronist Matthias Biskupek. Letzterer übte nach dem letzten Akt harsche Selbstkritik: "Thema verfehlt!"
Aber nicht doch, es war - großartiges Theater! Lucke war zwar nicht in der richtigen Zeit, aber an einem spannenden Ort, erzählte Anekdoten über Peter Hacks, Matthias Langhoff und Benno Besson - wie man, schon zu Ulbrichts Zeiten, den aufrechten Bühnengang probte. Der "Ernst Busch"-Schauspielschüler Wisbach war zur Wende leider am falschen Ort, nämlich abgehauen, und langweilte sich am Würzburger Theater. Einzig Biskupek war wirklich da, wo es passierte: Am 10. 10. 1989 wurde in Rudolstadt, wie an fast allen ostdeutschen Theatern, die Resolution der Rockmusiker und Liedermacher verlesen, wie ein Stasi-Protokoll bestätigt. Man forderte Meinungsfreiheit und einen offenen Dialog. Von Rebellentum mochte Biskupek nicht reden, "wir Theaterleute saßen schließlich im Hörselberg", quasi in einem geschützten Raum. Dort habe man immer wieder "das Ende der DDR durchgespielt" - mit Stücken von Schiller, Beckett, Heiner Müller, Christoph Hein, Volker Braun etc. - und an der Mündigwerdung des Bürgers gearbeitet. Tatsächlich hätten Theaterleute dann auch gemeinsam mit kirchlichen und anderen Oppositionellen die Demos angeführt.
„Ohne mich", bekennt der in Pirna geborene DDR-Flüchtling Wisbach, der letztlich auch vor seinem Direktor Hans-Peter Minetti getürmt war und nach seiner Rückkehr in Erfurt für einen Wessi gehalten wurde. Dort musste er erleben, wie von der neuen Obrigkeit in alter Willkür das Sprechtheater abgewickelt wurde. In Weimar begegnete er überraschend Minetti wieder, denn Thomas Thieme hatte den nun hochbetagten und geschmähten Schauspieler für eine DNT-Inszenierung besetzt. "Ich dachte, oh Gott, mit dem auf die Bühne? Der hat sich doch kein bisschen geändert." Minettis Läuterung folgte etwas später. Tilmann Köhlers Inszenierung des "Drachen" habe ihn sehr bewegt und zum Nachdenken gebracht, schrieb Minetti in einem Brief an das Ensemble.
Frank Quilitzsch